Wer Igel retten will, muss nett zu Blattläusen sein
Die biologische Vielfalt ist wichtig für einen lebendigen und fruchtbaren Kleingarten. Dabei spielen auch die unscheinbaren, teils unbeliebten und unbekannten Arten im großen Netzwerk der Natur eine entscheidende Rolle.
Beim dritten Online-Bildungs- und Vernetzungstreffen am 11.09.2024 zeigte die Referentin Sigrid Tinz, im ersten Teil ihres Vortrags welche Bedeutung Blattläuse, Nacktschnecken und Co. im Kleingarten haben. Im zweiten Teil gab sie Tipps zur Wissensvermittlung.
Nahrungsnetze für Artenvielfalt
Text: Sigrid Tinz, Geoökologin und Gartenbuchautorin
Unser Wissen über Nahrungsnetze und Biodiversität ist vielleicht in etwa auf dem Stand, wie die Menschheit astronomisch zu den Zeiten von Kopernikus und Galilei dachte: Die Erde sei der Mittelpunkt des Universums. Der „gesunde Menschenverstand“ hatte keinen Grund zu der Annahme, es könnte anders sein.
In einigen hundert Jahren wird die Menschheit vielleicht über uns lächeln, über das, was unser „gesunder Menschenverstand“ und unsere technischen Möglichkeiten für eine Idee von Biodiversität vermittelt haben: der Mensch sei die Krone der Schöpfung und der Mittelpunkt der Natur.
Unser Wissen über die biologische Vielfalt, die Funktion von Ökosystemen und die Verbindungen der Arten steht noch am Anfang. Im Garten können wir beobachten, wie alles mit allem zusammenhängt.
Ein gutes Beispiel sind die Blattläuse:
Blattläuse saugen an Pflanzen. Der Mensch will seine Pflanzen lieber ohne Läuse. Also sind Blattläuse eklig und schädlich – und müssen weg. Gift nehmen nur die Unbelehrbaren, man weiß mittlerweile, das schädigt auch die Bienen. Aber weg müssen sie schon, also werden sie abgewischt oder mit Öl oder Seifenlauge erstickt. Noch aufgeklärtere Zeitgenossen wissen, dass es auch hilft, Marienkäfer, Florfliegen, Vögel und andere Blattlausfresser in den Garten einzuladen, auf das diese „Nützlinge“ die „Schädlinge“ bekämpfen. Aber: immer sind der Gärtner und die Gärtnerin Mittelpunkt ihres Gartenuniversums, in dem sie sich um die bestmögliche Art der Blattlausvernichtung kümmern.
Anthropozentrisch gesehen.
Ökozentrisch gesehen sind Blattläuse und ihre Eier das Fressen vieler Tiere. Und wer Blattläuse vernichtet, nimmt diesen allen ihre Nahrungsgrundlage weg. Jede vom Gärtner bekämpfte Blattlaus ist Teil des großen, ganzen Nahrungsnetzwerks.
Das ist nebenbei ein großer Fehlschluss aus den Werken Darwins: Es geht keiner Art um Vermehrung im Sinne von immer mehr zu werden und am Ende die ganze Welt zu beherrschen Es geht darum sich fortzupflanzen, um die Art zu erhalten. Pflanzen sterben nicht am Lausbefall, die Läuse breiten sich auch nicht unkontrolliert aus und befallen am Ende alle Pflanzen im Garten. Blattläuse vermehren sich deshalb so rasant, weil so viele von Ihnen aufgefressen werden.
Unkraut erfüllt Aufgaben:
Und Pflanzen wie Giersch, Knopfkraut oder die Vogelmiere, die über Nacht ein ganzes Beet bedecken können, sind eigentlich schiere Lebenskraft: Sie wachsen dort, wo sonst nichts ist. Die Samen sind leicht und zahlreich und können mit dem Wind von weither überall hinfliegen.
Ein paar wenige erfolgreiche Keimungen reichen, dann geht es los mit dem Ausläuferbilden. Lange bevor die Pflanze blüht und neue Samen gebildet hat, die dann ja erst im nächsten Jahr wieder keimen und noch mehr Pflanzen bilden könnten, ist die nackte Erde schon bewachsen, oberirdisch mit Grün bedeckt, ein Dach über Kopf fürs Bodenleben und gleichzeitig Biomasse für kleine und große Pflanzenfresser. Unterirdisch durchwurzelt, gelockert und belüftet von mehr oder weniger dichten Wurzelnetzen. Pionier-Arten nennt man solche Arten auch. Sie haben nicht die Welteroberung im Sinn, sondern bereiten den Boden. Viele hübsche Pflanzen und Tiere können erst kommen, wenn der Laden einigermaßen läuft und etwas zu fressen da ist.
Blattläuse zum Beispiel.
Ökologische Zusammenhänge anschaulich vermitteln
Weiterführende Infos
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